EU Postengeschachere schadet der Demokratie

Warum die Hinterzimmer-Gespräche zur Besetzung der Top-Posten in der EU nicht weiter hinnehmbar sind.

Die letzte Europawahl war wirklich eine Sternstunde in der europäischen Demokratie und im Zusammenwachsen der Menschen auf dem „alten Kontinent“. So viel wie vor dieser Wahl engagiert über politische Inhalte diskutiert und miteinander gesprochen wurde, das gab es früher nicht. Einen großen Anteil daran hatte auch die ausdrückliche Benennung von Kandidaten der großen Fraktionen und Verbindungen im EU-Parlament für die Top-Posten, die in der EU zu vergeben sind. Das wären zuallererst die Ämter der Präsidenten der EU-Kommission, des EU-Rates und des EU-Parlaments.

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Der Wahlkampf dieser Kandidaten und ihrer jeweiligen Parteien bestimmte zu einem großen Teil die Diskussion und natürlich nicht zuletzt auch die Entscheidung der Wähler, dieser oder jener Partei ihre Stimme zu geben. Die Europawahl, die in vergangenen Zeiten mit Wählerbeteiligungen von 45 oder gar nur 43 Prozent leben musste, konnte in diesem Jahr 61,4 Prozent der wahlberechtigten Bürger in Deutschland an die Urne locken. In anderen Ländern sah es ähnlich gut aus. Die Wichtigkeit des Europaparlaments und die Wichtigkeit, deshalb von seinem Stimmrecht Gebrauch zu machen, wurden endlich anerkannt. Die Demokratie in Europa konnte einen großen Schritt nach vorn machen.

Postengeschachere

All diese positiven Entwicklungen wurden in den vergangenen Tagen mit dem Hintern wieder eingerissen. Und der Hintern ist nicht nur sprichwörtlich zu verstehen, denn über unzählige Stunden wurde bräsig sitzend in Hinterzimmern in Brüssel und in Telefonkonferenzen unter Politikern, die gar nicht zur Europawahl angetreten sind, geschweige denn gewählt wurden, ausgeklüngelt, wer künftig welchen wichtigen Posten in der EU bekommen soll.

Die ursprünglichen Spitzenkandidaten, für die die Bürger Europa letztlich ihre Stimme bei der Europawahl abgaben, spielten bei diesem Postengeschachere ganz schnell überhaupt keine Rolle mehr. Immer mehr neue Namen kamen ins Spiel und am Ende stand ein Ergebnis, das einem arabischen Teppichmarkt gut zu Gesicht stehen würde, nicht jedoch einer sich demokratisch nennenden Organisation wie der Europäischen Union.

Am Ende wurde ein Name präsentiert, der jeden Beobachter, solange er nicht direkt aus der CDU oder CSU kommt, denn die müssen natürlich nach außen hin frohe Miene zum bösen spiel machen, nur ratlos und wütend machen kann. Ausgerechnet Ursula von der Leyen soll nun das wichtige Amt des EU-Kommissionspräsidenten bzw. der Präsidentin, und das ist auch schon der einzige Pluspunkt den von der Leyen, die unbestritten Frau und Mutter ist, für sich verbuchen kann, bekommen. Gewählt für dieses Amt wurde sie nicht. Und mit Ursula von der Leyen auf den Wahlplakaten hätte die CDU wohl noch mehr Stimmen eingebüßt als ohnehin schon.

Man hatte eigentlich gehofft, dass das Wegloben von gescheiterten und/oder unbeliebten Politikern nach Brüssel der Vergangenheit angehört. Die Personalie von der Leyen ist aber nicht nur einfach neues Wasser auf die Mühlen der EU-Skeptiker, das sind wahre Sturzbäche. Die Liste der Fehlleistungen von Ursula von der Leyen ist so lang, dass man daraus mehrere Artikel verfassen könnte. Wir das meiste davon hier mal zusammengefasst.
Vieles davon wird noch aufzuarbeiten sein. Man darf jetzt schon gespannt sein, wenn von der Leyen dann als EU-Kommissionschefin, wenn sie denn gewählt wird, vor einem Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Skandal um die Beraterverträge und zum Desaster um die „Gorch Fock“ aussagen muss.

Demokratie beschädigt

Auch die Besetzung der weiteren Posten und Pöstchen und die Versorgung der geschassten Kandidaten mit anderen Ämtern, die ebenfalls in Hinterzimmern ausgeschachert wurden, ist ein Bärendienst für die Demokratie in Europa. Das gewählte EU-Parlament darf nur noch diese Vergabe der wichtigen EU-Posten abnicken, ansonsten hat es sich bedeckt zu halten.

Es liegt nun am EU-Parlament zu zeigen, dass man sich in den letzten Jahren soweit emanzipiert hat, dass man dieses undemokratische Postengeschachere nicht mitmacht. Wie diese Entscheidung ausgehen wird, wird einen großen Einfluss auf die Demokratie und die Politikverdrossenheit in ganz Europa haben.
Wenn man die Abstimmung zum neuen EU-Urheberschutzrecht und Artikel 13 verfolgt hat, sollte man sich allerdings keine allzu großen Hoffnungen machen, dass das EU-Parlament in der Mehrheit gegen diese undemokratische Postenvergabe stimmen wird.

Einen Gewinner hat die ganze Angelegenheit am Ende aber doch, und das sind die bekannten Beraterfirmen. Die dürften seit dem Bekanntwerden der Personalie von der Leyen im Dauer-Partymodus sein. Gegen die lukrativen Verträge, die es in der EU zu vergeben gibt, waren die Beraterverträge in Deutschlands Ministerien wahrlich nur Peanuts.

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