Andrea Nahles zieht sich aus Trotz aus der Politik zurück.

Warum für Nahles Rücktritt kein großer Respekt nötig ist.

Am gestrigen Sonntag erklärte Andrea Nahles „stilsicher“ per E-Mail an die SPD-Mitglieder, dass sie gedenke, Anfang dieser Woche von ihren Ämtern als Parteichefin und Fraktionsvorsitzende zurückzutreten. Außerdem werde sie auch ihr Bundestagsmandat aufgeben. Eine persönliche Erklärung sah Nahles offensichtlich als nicht notwendig an.

Anzeige

Heuchelei

Nach diesem Paukenschlag, der längst überfällig war, fing die Heuchelei auf allen Kanälen an. Parteigenossen und viel mehr noch politische Gegner sprachen Nahles ihren großen Respekt für ihren Entschluss zum Rücktritt aus. Außerdem zeigten sich viele erschrocken über den Umgang mit Nahles, der in den letzten Tagen und Wochen geherrscht habe.

Natürlich sind persönliche Beleidigungen völlig deplatziert. Wer Bemerkungen zu Aussehen, Alter oder Figur von politischen Akteuren äußert, nimmt sich damit selbst aus der ernsthaften Diskussion. Das dürfte Konsens in so ziemlich allen Parteien, unter Journalisten und Beobachtern sein, und die allermeisten halten sich auch daran. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Insofern sind die gemachten Betroffenheitsäußerungen vom Sonntag nicht ernst gemeint, sondern nur politisches Schauspiel und damit nichts anderes als Heucheleien.

Machtpolitikerin Nahles

Angriffe auf den Politikstil oder die politischen Ziele sind zu jeder Zeit erlaubt und gehören zum politischen Schlagabtausch. Das weiß nicht zuletzt auch Andrea Nahles selbst. Hat sie doch in ihrer langen Parteilaufbahn höchstselbst den einen oder anderen innerparteilichen Gegner ohne mit der Wimper zu zucken aus dem Weg geräumt.

Zusammen mit Oskar Lafontaine hat sie den damaligen SPD-Chef Scharping gestürzt. Dann sorgte sie dafür, dass Franz Müntefering entgeistert den SPD-Vorsitz hinwarf. Und Martin Schulz ließ sie direkt ins offene Messer laufen, weniger drastisch kann man Nahles Wirken im Zusammenhang mit der Demontage des Kanzlerkandidaten Schulz wirklich nicht bezeichnen.

Nahles wusste immer, dass Macht ohne Härte nicht zu erreichen ist. Und Nahles war und ist eine Machtpolitikerin, nur deshalb ist sie jetzt zurückgetreten.

All die politischen Leichen, die ihren langen Weg durch die Partei pflastern, ein Weg, der übergangslos nach der Uni begann und sie zur Berufspolitikerin machte, fielen dem Machthunger von Nahles zum Opfer. Immer ging es darum, den eigenen Posten zu sichern oder in der Partei weiter aufzusteigen.

Schlimmstes Beispiel dafür ist die Beseitigung von Martin Schulz. Nach der Bundestagswahl sorgte Nahles hinter Kulissen mit dafür, dass entgegen der Ankündigungen vor der und den Verlautbarungen von Schulz nach der Wahl die SPD wieder für eine GroKo zur Verfügung stand. Und Nahles sorgte mit dafür, dass Schulz weder Parteivorsitzender bleiben noch einen Ministerposten antreten konnte. Für den Mann ging es innerhalb weniger Monate ungebremst von 100 auf Null.

Mitleid braucht man mit Schulz nicht wirklich zu haben, er kannte das Politikgeschäft. Und auch Nahles hatte kein Mitleid, ihr ging es bei dieser Intrige wieder einmal nur um die eigene Macht. Sie wurde nach Schulz‘ Beseitigung selbst Parteivorsitzende und die SPD durfte weiterhin Regierungspartei spielen.

Da unterscheidet sich Nahles in ihrer Denke übrigens nur wenig von Angela Merkel. Auch Merkel wollte immer nur Kanzlerin bleiben. Mit wem und unter welchen Vorzeichen war ihr egal, Hauptsache Kanzlerin sein. Schlechte Wahlergebnisse wurden ignoriert, solange es nur immer wieder Konstellationen gab, die Merkels Macht weiterhin sicherten. Damit ist nun Schluss, Kramp-Karrenbauer hat sie als CDU-Vorsitzende abgelöst und Merkel befindet sich einiger Zeit auf Abschiedstour.

Rücktritt aus Trotz

So wie bei Merkel mit der CDU ging es auch für Andrea Nahles mit der SPD immer nur weiter bergab. Die Wahlergebnisse wurden von Mal zu Mal schlechter, und die Ergebnisse der SPD bei der Europawahl sorgten für einen neuen historischen Tiefpunkt. Damit war auch in der SPD ein Punkt erreicht, wo sich die anderen Parteigranden aus Existenzangst zum Handeln veranlasst sahen. Und es geht mittlerweile nicht nur um schlechte Wahlergebnisse, es geht tatsächlich um nicht weniger als das Überleben der SPD.

Natürlich hat auch Nahles ein Gespür dafür, dass es in der Partei rumort und dass sie handeln muss. Allerdings weniger um die Existenz der Partei zu sichern, als viel mehr das eigene politische Überleben. Insofern überraschte ihr Vorstoß, die Wahl zum Vorsitz der Fraktion im Bundestag vorzuziehen, eigentlich nicht. Nahles wollte damit die Partei ganz geschickt überrumpeln und sich so den Posten als Fraktionsvorsitzende weiterhin sichern. Denn es ist klar, dass vor allem ihr selbst die Wahlschlappe bei der Europawahl angelastet wird und dass zudem die bevorstehenden Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg ein ähnlich desaströses Ergebnis erwarten lassen. Die gewissenhafte Aufarbeitung der Wahlschlappen hätte für Nahles als Parteivorsitzende ernste Probleme bedeutet.

Nur aus diesem Grund wollte sich Nahles vorschnell den Posten als Fraktionsvorsitzende sichern. Die Landtagswahlen im Herbst hätte sie so locker aussitzen können.

Daraus wurde nichts. Die Partei und vor allem die Fraktion im Bundestag wollten da nicht mitspielen. Mehrere Probeabstimmungen am Sonnabend ließen erkennen, dass dieser Plan für Nahles nicht aufgehen wird. Darüber hinaus soll die Zustimmung für Nahles so minimal gewesen sein, dass sich nun einzelne Abgeordnete aus der Deckung wagten und offene, harte Kritik an Nahles übten. Nach Insiderinformationen soll es dabei äußerst heftig abgegangen sein, diese Infos kann man glauben oder auch nicht.

Fakt ist allerdings, dass Andrea Nahles nur einen Tag später alles hingeworfen hat. Als ihr klar wurde, wie wenig Unterstützung sie noch in der Partei hat, warf sie aus Trotz nicht nur den Fraktionsvorsitz hin, sie trat auch vom Posten der SPD-Parteivorsitzenden zurück und kündigte zudem an, auch ihr Bundestagsmandat zurückzugeben. Wenn die Partei ihr nicht folgt, dann soll sie doch zusehen, wie sie den Scherbenhaufen selbst wegfegt.

Das ist eine reine Trotzreaktion von Andrea Nahles und hat mit gutem politischem Stil nichts tun. Dafür muss man ihr wahrlich keinen Respekt zollen.

Anzeige

Schockwellen: Letzte Chance für sichere Energien und Frieden. Gewinner des getAbstract Business Impact Readers’ Choice Award 2023*
  • Schockwellen: Letzte Chance für sichere Energien und Frieden
  • Produktart: ABIS_BOOK
  • Farbe: White
  • Kemfert, Claudia (Autor)

[Letzte Aktualisierung am 16.04.2024 um 11:22 Uhr / * = werbender Link (Affiliate) / Bilder von der Amazon Product Advertising API]