Oktoberfest-Attentat 1980: Ein verdrängtes Trauma in Bayern

Wie wirtschaftliche und politische Interessen die Erinnerung überlagern

Das Oktoberfestattentat von 1980 bleibt eines der schlimmsten rechtsextremistischen Verbrechen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Trotz der verheerenden Auswirkungen auf das Land, den Freistaat Bayern und die Stadt München und die Opferfamilien bleibt die kollektive Erinnerung an diesen Terrorakt erstaunlich lückenhaft.

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Was sind die Gründe für diese mangelhafte Aufarbeitung? Welche Rolle spielten politische und wirtschaftliche Interessen bei der Verschleierung und Verdrängung? Dieser Artikel beleuchtet die Ereignisse, die Ermittlungen und die schockierende Tatsache, dass das Geschäft auf der Wiesn oft mehr zählt als das Gedenken an die Opfer.

Das Oktoberfestattentat 1980: Eine Chronologie der Ereignisse

Am 26. September 1980 wurde das Münchner Oktoberfest, das gemeinhin als das weltweit größte Volksfest bezeichnet wird, von einem verheerenden Anschlag erschüttert. Gegen 22:19 Uhr explodierte eine Bombe in einem Mülleimer am Haupteingang zur Theresienwiese. Die Bilanz des Attentats: 13 Menschen starben, 211 wurden verletzt, viele von ihnen schwer. Der Bombenleger, Gundolf Köhler, ein 21-jähriger Neonazi, kam bei der Explosion ebenfalls ums Leben. Im Jahr 2020 wurde die Zahl der Verletzten durch die Bundesstaatsanwaltschaft auf 221 korrigiert.

Der Anschlag war der Höhepunkt einer eskalierenden Bedrohung durch Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, aber das Verbrechen selbst wurde von Anfang an von den Ermittlungsbehörden nicht als das eingestuft, was es war: ein terroristischer Akt aus der rechtsextremen Szene.

Oktoberfest-Attentat | Bild: heatherradish, pixabay.com, Inhaltslizenz

Oktoberfest-Attentat | Bild: heatherradish, pixabay.com, Inhaltslizenz

Mangelhafte Ermittlungsarbeit und vertuschte Spuren

Die Ermittlungen nach dem Anschlag waren von Beginn an geprägt von Pannen und Fehlentscheidungen. Die Behörden erklärten schnell, dass Gundolf Köhler ein isolierter Einzeltäter gewesen sei, der aufgrund persönlicher Frustrationen handelte. Doch schon damals gab es Hinweise, dass Köhler nicht allein gehandelt haben könnte und möglicherweise Verbindungen zu rechtsextremen Netzwerken wie der sogenannten Wehrsportgruppe Hoffmann (WSG) bestand, einer Neonazi-Gruppe, die in den 1970er Jahren für ihre Gewalttätigkeit bekannt war.

Zeugen wurden teilweise nicht ernst genommen und wichtige Beweise verschwanden oder wurden nicht ausreichend untersucht. 2014 wurden die Ermittlungen, auch aufgrund des öffentlichen Drucks, erneut aufgenommen, nachdem neue Hinweise auf Verbindungen zu rechtsextremen Gruppen aufgetaucht waren. Doch die jahrzehntelange Verzögerung in der Aufarbeitung führte dazu, dass viele Spuren längst kalt waren.

Franz Josef Strauß und die politische Instrumentalisierung

Eine weitere Frage, die im Zusammenhang mit dem Oktoberfestattentat oft gestellt wird, ist die Rolle des damaligen Kanzlerkandidaten der CSU, Franz Josef Strauß. Strauß, zu dieser Zeit ebenfalls bayerischer Ministerpräsident, befand sich mitten im Wahlkampf gegen den amtierenden Kanzler Helmut Schmidt (SPD), als der Anschlag geschah. Es ist auffällig, dass die Ermittlungen schnell darauf fokussiert waren, Köhler als „unpolitischen Einzeltäter“ darzustellen. Für Strauß und seine politischen Ambitionen wäre es äußerst schädlich gewesen, wenn sich herausgestellt hätte, dass der Attentäter aus der rechtsextremen Szene stammte – einer Szene, mit der Teile der konservativen politischen Landschaft damals zumindest indirekt sympathisierten.

Die politische Landschaft der Bundesrepublik war zu dieser Zeit stark polarisiert, und jede Verbindung des Attentäters zu rechtsextremen Kreisen hätte die Glaubwürdigkeit der konservativen Parteien massiv untergraben können. Die schnelle Einordnung des Attentäters als Einzelgänger könnte daher auch im Zusammenhang mit politischen Interessen gestanden haben.

Erst 2020 sah sich der heutige bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) dazu veranlasst, anzuerkennen, dass Strauß die Bedeutung und die Verwicklung der WSG in die Vorgänge um das Oktoberfestattentat zumindest „unterschätzt“ hat. Zu anderen möglichen Beweggründen der damaligen bayerischen Landesregierung schweigt sich die CSU bis heute aus.

Das verdrängte Trauma: Die mangelnde Erinnerungskultur

Trotz der Schwere des Anschlags ist die Erinnerung an das Oktoberfestattentat in der öffentlichen Wahrnehmung erstaunlich gering. Im Vergleich zu anderen Terroranschlägen in der deutschen Geschichte, wie etwa der RAF oder den Anschlägen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), wird dem Oktoberfestattentat nur wenig Aufmerksamkeit zuteil. Gedenkveranstaltungen finden nur im kleinen Rahmen statt, und viele junge Menschen wissen nicht einmal von dem Verbrechen. Stattdessen stürmen sie wie jedes Jahr völlig enthemmt im Kampf um die besten Plätze im Bierzelt über genau die Stelle, an der vor über 44 Jahren zahlreiche Menschen tot, zerfetzt und verletzt am Boden lagen.

Dies liegt unter anderem daran, dass das Oktoberfest eine zentrale wirtschaftliche Rolle für München und Bayern spielt. Millionen von Touristen strömen jedes Jahr auf die Wiesn, und die Stadt hat ein Interesse daran, das Oktoberfest als fröhliches, unbeschwertes Fest darzustellen. Eine Erinnerung an den Terroranschlag von 1980 könnte diese positive Stimmung trüben und den Fokus auf die Gefahren des Rechtsextremismus lenken – eine Debatte, die lange Zeit unwillkommen schien.

Wiesn als Geschäft: Wie das Oktoberfest die Opfer in den Hintergrund drängt

Während die Stadt München und die Veranstalter des Oktoberfests großen Wert auf das wirtschaftliche Potenzial der Wiesn legen, rückt das Gedenken an die Opfer des Attentats oft in den Hintergrund. Es gibt zwar seit einigen Jahren eine Gedenkstelle an der Theresienwiese, doch diese gerät leicht in Vergessenheit, insbesondere während der hektischen Festzeit.

Die wirtschaftliche Bedeutung des Oktoberfests ist enorm: Allein 2022 wurde ein Umsatz von rund 1,2 Milliarden Euro generiert. Dazu zählen auch zahlreiche Zusatzeinnahmen in der Stadt für Reisen nach München, Übernachtungen, Essen, Shopping. In diesem Zusammenhang wird verständlich, warum eine kontinuierliche und tiefgehende Aufarbeitung des Attentats in den letzten Jahrzehnten oftmals zugunsten eines ungetrübten Festablaufs vernachlässigt wurde. Das Feiern steht im Vordergrund, während das Gedenken an die Opfer und die Bekämpfung des Rechtsextremismus in den Hintergrund rücken.

Schon damals 1980 wurden nur einen Tag nach dem Anschlag auf das Oktoberfest wieder die Tore geöffnet, damit das Geschäft in Bierzelten, an den Buden und Fahrgeschäften ungetrübt weiter gehen konnte. Pietät hat gegen wirtschaftliche Interessen keine Chance.

Oktoberfest Geschäft | Bild: Alexas_Fotos, pixaby.com, Inhaltslizenz

Oktoberfest Geschäft | Bild: Alexas_Fotos, pixaby.com, Inhaltslizenz

Rechtsextremismus: Eine unterschätzte Gefahr

Das Oktoberfestattentat von 1980 zeigt deutlich, wie gefährlich der Rechtsextremismus für die Gesellschaft sein kann. Leider wurde diese Gefahr lange Zeit nicht ausreichend ernst genommen. Rechtsextremistische Netzwerke existierten damals wie heute, und der Anschlag hätte ein früher Weckruf sein können. Doch das Schweigen und die unzureichenden Ermittlungen haben diese Bedrohung lange Zeit verharmlost.

Erst durch die NSU-Mordserie und den wachsenden Rechtspopulismus in Deutschland wurde das Problem wieder stärker in den Fokus gerückt. Das Oktoberfestattentat hätte viel früher als Warnsignal dienen müssen, doch das Geschäft und politische Interessen verhinderten eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem rechtsextremen Terrorismus.

Fazit: Das Oktoberfestattentat als Mahnmal gegen das Vergessen

Das Oktoberfestattentat sollte in der deutschen Erinnerungskultur eine zentrale Rolle spielen. Es zeigt, wie gefährlich rechtsextreme Ideologien sein können und welche verheerenden Auswirkungen sie auf eine offene Gesellschaft haben. Doch solange wirtschaftliche Interessen und politische Verdrängung wichtiger sind als das Erinnern, besteht die Gefahr, dass solche Verbrechen in Vergessenheit geraten und sich die Geschichte wiederholt.

Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus und eine stärkere Würdigung der Opfer sind notwendig, um die Lehren aus diesem tragischen Ereignis zu ziehen und die Gesellschaft für die Gefahren des Hasses und der Intoleranz zu sensibilisieren. Das Erstarken der AfD und anderer rechtsradikaler Kräfte zeigt wie wichtig, dies gerade heute ist.

 

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