Kommt der Exit aus dem Brexit?

Großbritannien ist nach dem Brexit-Beschluß in Unruhe. Die 48 Prozent, die für den Verbleib in der EU gestimmt haben, wollen ihre Zukunft zurück.

Der Schock sitzt immer noch tief bei vielen Briten, auch zwei Tage nach der Abstimmung zum Brexit. Das Land ist ist nur einer kurzer Phase des Schockiertseins und der Lethargie nun in heller Aufruhr. Nichts ist mehr sicher und Dinge, die gestern noch niemand für möglich hätte, werden heute offen diskutiert.

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Schottland

Das Abstimmungsergebnis zum Brexit hat gezeigt, daß ein tiefer Graben zwischen Nord- und Süd-Großbritannien verläuft. Mit Ausnahme von London und ein paar anderen Großstädten haben England und Wales im Süden mehrheitlich für den Brexit votiert. Schottland im Norden und Nordirland votierten dagegen klar für den Verbleib in der EU.

2014 gab es das letzte Unabhängigkeits-Referendum in Schottland. Damals stimmten die meisten Schotten für den Verbleib in Großbritannien, doch damals unter der Prämisse, daß Großbritannien fester Teil der EU ist. Das ist nun anders. Deshalb wird es zu einer neuen Abstimmung der Schotten kommen, und alles sieht derzeit danach aus, daß aus Großbritannien künftig Kleinbritannien, bestehend aus England und Wales wird.

Nordirland

Auf Nordirland braucht Großbritannien auch nicht mehr hoffen. Auch hier waren die EU-Anhänger in der großen Mehrheit. Erschwerend kommt hinzu, daß niemand auf der irischen Insel eine undurchlässige EU-Außengrenze hinnehmen will. Der mühsam ausgehandelte brüchige Frieden in Nordirland steht durch den Brexit wieder auf der Kippe. Schon mehren sich Stimmen, die einen Austritt Nordirlands aus Großbritannien und einen Zusammenschluß mit der Republik Irland fordern. Der Annex A des Friedensvertrages läßt dieses Szenario sogar ausdrücklich zu. Eine einfache Mehrheit in einer Volksabstimmung könnte Nordirland aus Großbritannien herauslösen.

Großbritannien

In ganz Großbritannien wird nun erst richtig vielen Wählern klar, was sie da am vergangenen Donnerstag getan haben. Natürlich vor allem bei denen, die für den Brexit gestimmt haben. Bei den Wahllokalen verzeichnete man am Freitag sehr viele Anrufe von Wähler, die gern ihr Kreuzchen noch einmal ändern wollten. Nach Umfragen hatten viele der Ja-Sager zum Brexit der Regierung und der EU nur einen Denkzettel geben wollen, einen echten Austritt wollten sie jedoch nicht. Sie dachten niemals daran, daß es am Ende eine Mehrheit für den Brexit geben könnte.
Da haben die Wahlforschungsinstitute den Briten einen echten Bärendienst erwiesen, denn sie verkündeten noch am Donnerstag auf allen medialen Kanälen, daß der Brexit mit rund 52 Prozent abgelehnt werden würde. Es kam genau anders herum.

#Breget

So formiert sich nun langsam aber sicher und immer lauter die Anti-Brexit-Bewegung. Besonders die jungen Briten wollen ihre Zukunft zurück, wie sie unter dem Hashtag #Breget (für Britain + Regret) lautstark skandieren. Sie fordern eine zweite Abstimmung über den Brexit. Mehr als 2 Million Briten haben eine entsprechende Petition für den Exit aus dem Brexit an das Parlament schon unterzeichnet. Bereits 100.000 Stimmen hätten ausgereicht, damit sich das Parlament damit beschäftigen muß.

In London kursiert unter #londependence eine Petition für die Unabhängigkeit der Stadt von Großbritannien. Als eigenständiges Londons will man dann Mitglied der EU und des Schengen Raumes werden. Selbst den Euro als offizielles Zahlungsmittel könnte man sich inzwischen vorstellen.

Auch aus den Parteien heraus kommt der Widerstand gegen den Brexit ins Rollen. Abgeordnete der Labour-Partei wollen den EU-Austritt durch eine Abstimmung im Unterhaus stoppen. Rechtlich ist das durchaus denkbar, denn die Brexit-Abstimmung ist zwar eine gewaltige Meinungsäußerung der Wähler, doch rechtlich bindend ist die Abstimmung nicht. Das Parlament muß den Brexit beschließen und offizielle einen Austrittsantrag bei der EU.

Theoretisch könnten sich die Abgeordneten also auch über die Brexit-Abstimmung hinwegsetzen und auf den Austrittsantrag verzichten. Dann bliebe alles beim Alten. Es gibt also noch eine mehr als vage Chance auf den Exit aus dem Brexit.

Das zerissene Land

An der inneren Zerrissenheit Großbritanniens würde das nichts ändern. Die Brexit-Befürworter wollten ein Großbritannien, das sich unabhängig von der Gängelung aus Brüssel frei entwickeln und zu neuer Stärke finden kann. Was sie geschafft haben, ist ein zerrissenes Land, daß wirtschaftlich und politisch geschwächt ist. Und ein Großbritannien, das es so wie heute nicht mehr geben wird, denn Schottland und wahrscheinlich auch Nordirland wird alles tun, um sich abzuspalten. Aus Großbritannien wird durch den Brexit ein schwaches Kleinbritannien aus England und Wales, dem selbst die Hauptstadt London von der Fahne laufen will. Mehr Schaden haben selbst zwei Weltkriege der Insel nicht antun können.

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3 Kommentare

  • Man weiß gar nicht, ob man lachen oder weinen soll angesichts dessen, was da gerade in Großbritannien geschieht. Möglicherweise wird dies als eindrücklichstes Beispiel dafür, dass direkte Demokratie nicht funktioniert, in die Geschichte eingehen. Wenn man liest, dass sich die Menschen in Orten, die massiv von EU-Subventionen abhängig sind, mehrheitlich für den Brexit entschieden haben, aber erwarten, dass das Geld doch irgendwie weiter fließt, aus welcher Quelle auch immer, muss man sich fragen, wer oder was hier versagt hat. Die Politik? Die Medien? Das Bildungssystem?

  • Informelles

    Stimmt, das ist tatsächlich ein schönes Beispiel dafür, daß man komplexe Fragen nicht mit einem Referendum lösen kann. Man müßte sonst vor der Wahl jeden Wähler einen „Wahl-Führerschein“ machen lassen, um zu prüfen, ob er weiß, was bzw. worüber er da eigentlich abstimmt. Man muß den Wähler manchmal vor sich selbst schützen.

    Direkte Demokratie klingt super, funktioniert in der Praxis jedoch nicht, wie der Brexit beweist.

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