Die Deutschen und der Kaufrausch.

Eine unendliche Geschichte des Selbstbetrugs.

Alle Jahre wieder läßt der deutsche Einzelhandel pünktlich zum ersten Advent verlauten, daß der bevorstehende Weihnachtsrummel in den Innenstädten der beste aller Zeiten wird, vor allem für die Einzelhändler und deren Umsätze. Der Handelsverband Deutschland (HDE) und dessen Chef Stefan Genth überschlagen sich geradezu in Sensationsmeldungen:

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Weihnachten: Handel erwartet steigenden Umsatz

Weihnachtsgeschäft: Vielversprechender Start in die heiße Phase

Nikolaus kurbelt Weihnachtsgeschäft an

Sturmtief Xaver bremst Weihnachtsgeschäft

Weihnachtsgeschäft vor dem Endspurt

Weihnachten: Gutscheine immer wichtiger

Vierter Advent: Händler vielerorts zufrieden

Und selbst die Abwanderung der Kunden ins Internet, eigentlich der schleichende Tod der deutschen Innenstädte und deren Einzelhändler, wird gefeiert:

Online-Handel: Boom im Weihnachtsgeschäft

Deutschland befindet sich also in einem wahren Kaufrausch. Jeder gibt sein Geld mit vollen Händen aus und die Zahl der Weihnachtsgeschenke steigt ins Unermeßliche, auch was deren Wert angeht. Wer da nicht mitmacht und sich dem hemmungslosen Geldausgeben weigert, ist ein Spielverderber.

Wahre Zahlen

Doch genauso sicher wie die Jubelmeldungen im Dezember ist der Katzenjammer im Januar/Februar, wenn die Händler den tatsächlichen Überblick über den Verlauf des Weihnachtsgeschäftes haben. Dann wird wie jedes Jahr feststehen, daß auch 2013 die Umsätze wieder gesunken sind. Da hilft es auch nicht, daß ja so viele Gutscheine unter dem Weihnachtsbaum lagen, die dann im Frühjahr eingetauscht werden, denn zusätzlichen Umsatz bringen diese nicht, sie wurden ja schon bezahlt.

Es wird mal wieder am Wetter gelegen haben. Es war ja auch viel zu warm und zu naß für die Jahreszeit. Winter-Textilien lassen sich natürlich nicht absetzen. Und auch daß Weihnachten mitten in der Woche stattfand, war ganz böse für den Einzelhandel. Der HDE wird sicherlich ausreichend Gründe finden, um die schlechten Umsätze im Weihnachtsgeschäft zu erklären.
Dabei waren die Innenstädte brechend voll, gerade im Advent. Der Streik beim Online-Händler Amazon mitten im Weihnachtsgeschäft hat diesen Effekt sicher noch verstärkt. Am Wetter oder Konsumverweigerung der Menschen kann es also nicht gelegen haben.

Es gibt nur einen echten Grund für stetig schrumpfende Umsätze: Die Reallöhne großer Teile der Bevölkerung sinken seit Jahren und damit auch die Kaufkraft. Das statistische Bundesamt stellt für 2013 fest:

Für das Jahr 2013 zeichnet sich nach den Ergebnissen der ersten drei Quartale 2013 ein geringer Reallohnverlust ab

Die Steigerungen bei Nominallohn sind geringer als die Steigerungen der Verbraucherpreise. Wobei sehr viele Arbeitnehmer selbst von geringen Lohnerhöhungen nur träumen können. Nur für wenige Arbeitnehmer gilt überhaupt noch ein Flächentarifvertrag, für den die Gewerkschaften ebenfalls medienwirksam alljährlich kämpfen. Von Minijobbern und Aufstockern ganz abgesehen.

Wer immer weniger Geld in der Tasche hat, wird auch zu Weihnachten immer weniger konsumieren. Ein ganz einfaches Prinzip von Ursache und Wirkung. Doch der HDE weigert sich, diesen Zusammenhang anzuerkennen. Und so wird er auch im Advent 2014 wieder vom deutschen Kaufrausch faseln.

Update (31.01.14): Und da ist sie schon die „völlig überraschende“ Meldung, daß der Einzelhandelsumsatz im Weihnachtsgeschäft 2013 gesunken ist, diesmal sogar um satte 2,4 Prozent. Ökonomen hatten mit einem Anstieg um 1,9 Prozent gerechnet.
Dann können sich diese Ökonomen ja wieder bis zum Advent schlafen legen und von den nächsten Jubelmeldungen zum Fest träumen.

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Ein Kommentar

  • Gelhaar, Philip

    Das Hochloben des “guten Weihnachtsgeschäfts” hat aus meiner Sicht dieselbe Tradition, wie das Jammern im Januar (übrigens geschieht es dann auch so mit den Schlussverkäufen).

    Es geht wohl darum, die Menschen zum Kaufen zu animieren: „Schau, die kaufen alle, dann sollten wir doch auch kaufen“. Ob es wirklich funktioniert? Selbst wenn es tatsächlich ein sehr gutes Geschäft war, wird trotzdem später gejammert – niemand wird zugeben wollen, dass der dicke Reibach gemacht wurde!