Andreas L. – der Vorverurteilte.

Gilt für den Co-Piloten die Unschuldsvermutung nicht mehr?

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Es ist wahrhaftig ein Drama, das sich am Dienstag Mittag am Himmel über den französischen Alpen abspielte. Ein Airbus A320 der Lufthansa-Tochterairline Germanwings war mit offenbar voller Reisefluggeschwindigkeit an einem Fels in der Nähe von Barcelonnette zerschellt. Das Flugzeug wurde komplett zerstört, es gab keine Überlebenden. 150 Menschen fanden den Tod.

Keine Rücksicht durch die Medien

Nach dem ersten Schock kannte die mediale Aufregung keine Grenzen mehr. Aus Mangel an echten Fakten wurden Live-Sendungen und Vor-Ort-Schalten mit Mutmaßungen und O-Tönen gefüllt. Leider nahm – entgegen aller Beteuerungen nach früheren Fällen – auch diesmal die Presse kaum Rücksicht, wenn es darum ging „Emotionen einzufangen“. So wurde am Flughafen Düsseldorf voll drauf gehalten, wenn Bekannte und Verwandte zum Ankunftsgate kamen, um ihre Lieben abzuholen, und teilweise erst dann vom ganzen Drama erfuhren. Auch das Gymnasium in Haltern am See wurde regelrecht belagert und die Schüler zu Interviews gedrängt. Und es wurde in sozialen Netzwerken und auf Homepages nach Bildmaterial von den Opfern gesucht. Nur wenige Medien waren zumindest so anständig, die Bilder anschließend zu verpixeln.

Irgendwie mußte man ja die große Lücke, die die nicht vorhandenen Information zum Unglückshergang hinterließ, füllen. So flimmerten die immer gleichen Bilder über den Bildschirm und die Nachrichten und Sondersendungen wurden mit Nichtigkeiten und Mutmaßungen bestritten. Gut aus der Sicht der Medien, daß Merkel und ihre Minister unbedingt zum Unfallort eilen mußten und so für zahlreiche neue Bilder sorgten. Die Aufräumarbeiten wird es wohl eher nicht beschleunigt haben.

Tätertheorie kam wie gerufen

Am Donnerstag preschte dann der französische Staatsanwalt Brice Robin vor und präsentierte seine Theorie zum Absturz. Demnach hat der Co-Pilot Andreas L. den Crash bewußt herbeigeführt. Er sorgte dafür, daß der Kapitän nicht wieder ins Cockpit gelangen konnte und leitete dann den Sinkflug ein. Ein Suizid des Co-Piloten, der 149 weitere Menschen das Leben kostete. Andreas L. ist der Täter, Punkt. So der Staatsanwalt.

Das war natürlich nach dem Geschmack der Medien. Endlich hatte man etwas verwertbares in der Hand. Und sogleich begab man sich auf die Suche nach Informationen zu Andres L.

Wo wohnte er? War er besonders religiös? War er gar ein Terrorist? Hatte er gesundheitliche oder psychische Probleme? Wer kannte ihn? usw. usf.

All das war jetzt wichtig, nicht die Frage nach dem tatsächlichen Ablauf der Ereignisse im Cockpit der Germanwings Maschine. Daß die getätigte Schilderung des Unfallhergang nur eine Theorie des Staatsanwaltes ist, ließ man geflissentlich unter den Tisch fallen. Endlich hatte man Fakten und die wollte man sich nicht wieder nehmen lassen. Die Unschuldsvermutung, die für jeden Beschuldigten bis zum Verhängen eines rechtskräftigen Urteils gilt, galt für Andres L. nicht mehr. Er ist der Schuldige, Punkt.

Zweifel bleiben

Bei aller Dramatik ist die Täterschaft des Co-Piloten für Airbus und die Airlines natürlich auch die beste Option. Menschliches Versagen, kein technisches, das läßt alle Beteiligten am Ende des Tages irgendwie aufatmen. Man selbst kommt so aus der direkten Schußlinie. Und so erstaunt es auch eher nicht, daß Lufthansa und Germanwings der Theorie vom Co-Piloten als Täter bald unwidersprochen folgten.

Andreas L. ist tot und kann sich nicht mehr äußern. Um so wichtiger ist für die ermittelnden Stellen, wirklich nach der Ursache des Absturzes zu suchen, was sicherlich einige Zeit dauern wird. Um so am Ende einen Ablauf der Ereignisse zu rekonstruieren, der unwiderlegbar ist.

Die Theorie des Staatsanwaltes ist es nicht. Von den auf dem Stimmenrekorder aufgezeichneten Atemgeräuschen auf den tatsächlichen körperlichen Zustand des Co-Piloten zu schließen, ist mehr als gewagt. Dies als absolute Wahrheit zu verkaufen, ist mehr als dreist. Auch die Bedienung der Cockpittür-Verriegelung ist nicht zweifelsfrei geklärt. Warum beispielsweise der Kapitän nicht den Admin/Super-Code benutzt hat, ist ungeklärt. All das läßt an der Version des Staatsanwaltes zumindest zweifeln.

Deshalb muß zunächst das Auffinden und die Auswertung des zweiten Flugschreibers abgewartet werden. Erst dann wird man sagen können, ob Andreas L. der alleinige Täter war, das kann durchaus das Ergebnis der Untersuchungen sein, und was sich wirklich auf dem Germanwings Flug 4U9525 auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf abgespielt hat.
Doch bis dahin sind alle Äußerungen nur Mutmaßungen, egal ob sie von den Medien stammen oder von der Staatsanwaltschaft.

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Ein Kommentar

  • Lea

    Hallo, den Beitrag finde ich ja mal richtig gut!!
    es ist unglaublich, was für ein Nachrichten Wahn ausgebrochen ist. Als ich die ersten Interviews aus dem Heimatort des Andreas L. im Fernsehen sah war ich doch etwas schockiert und konnte eigentlich nur noch lachen. Als ob die Berichterstattung nur dann glaubwürdig sein würde.
    Auch finde ich es unglaublich unfair seinen Eltern gegenüber, ich möchte nicht in deren Haut stecken, was jetzt grade über deren Köpfen zusammenbricht -abgesehen natürlich auch von den Familien der anderen Fahrzeuginsassen…
    Ich bin gespannt, wie du auch meintest, eine wirklich Diagnose haben wir erst mit der Auswertung des Flugschreibers…