Das Ende der DDR: Neues Forum

Am 19. September 1989 gründete sich das Neue Forum.

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Das war so nicht vorgesehen von den Mächtigen in der DDR. Parteienvielfalt war in deren Augen abgedeckt durch die Sozialistische Einheitspartei (SED) und die Blockflöten Christlich-Demokratische Union Deutschlands (CDU), Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (LDPD) und National-Demokratische Partei Deutschlands (NDPD). Andere Gruppierungen oder Parteien wurden weder gewünscht noch geduldet. Die Blockparteien erkannten schließlich die Vorherrschaft der SED bedingungslos an und setzten deren Vorgaben strikt um.

Die CDU ging nach der Wende übrigens sang- und klanglos in der West-CDU, LDPD und NDPD gingen in der West-FDP auf. Über deren nicht gerade unbedeutenden Parteivermögen, die ebenfalls von den Westparteien aufgesogen wurden, hörte man im Gegensatz zur PDS und späteren Linkspartei, die das Vermögen der SED erbte, nie wieder etwas in den Medien.

Gründung Neues Forum

Im Gegensatz zu den Blockflöten, die nur Parteien- und Meinungsvielfalt vorspielten, war das Neue Forum eine echte Alternative, die sich noch dazu völlig eigenständig aus dem Volk heraus bildete. Ganz ohne Einfluß der Obrigkeit.

Am 10. September 1989 wurde das Neue Forum im Haus des Regimekritikers Robert Havemann, der jahrelang unter Hausarrest gestellt wurde und zu dessen Bewachung auch fleißige FDP-Funktionäre um dessen Haus schlichen, nach unbestätigten Gerüchten soll auch eine gewisse Angela Kasner darunter gewesen sein, gegründet. Am selben Tag  wurde der legendäre Aufruf „Die Zeit ist reif – Aufbruch 89“ veröffentlicht.
Dieser Aufruf verbreitete sich unter der Hand praktisch wie von selbst in kürzester Zeit in der ganzen DDR. Er war von 30 echten DDR-Bürgerrechtlern, wie Bärbel Bohley, Katja Havemann, Rolf Henrich, Sebastian Pflugbeil, Jens Reich und anderen unterzeichnet. Eine Unterschrift vom selbsternannten Bürgerrechtler Gauck sucht man auf solchen Papieren vergeblich.

Der Aufruf entwickelte eine ungeheure Dynamik und war so etwas wie die Initialzündung der Wende in der DDR. Nach den Protesten wegen der gefälschten Kommunalwahl, den Vorgängen in Ungarn und anderen Ländern im Sommer 1989, als mehrere Zehntausend Menschen der DDR den Rücken kehrten und in den Westen flohen, und nach dem Beginn und ständigen Anwachsen der Montagsdemonstrationen war dieser Aufruf des Neuen Forum ein weiterer Meilenstein. Mit einer eigenen Partei bekamen die Forderungen der Menschen etwas wirklich Konkretes und Offizielles.

Natürlich erkannte die SED die Gefahr, die vom Neuen Forum für den eigenen Vorherrschaftsanspruch ausging. Honecker, Mielke und Co. fürchteten um die eigene Macht und lehnten den Antrag des Neuen Forum vom 19. September 1989 auf Zulassung als eigenständige Partei, was nach Artikel 29 der DDR-Verfassung eigentlich möglich sein sollte, erwartungsgemäß ab. Das Neue Forum mit seinen Forderungen nach Freiheit und Bürgerrechten war nach Ansicht der SED verfassungs- und staatsfeindlich. Mehr brauchte man über den Zustand dieser DDR nicht wissen.
Zum Zeitpunkt der Ablehnung am 21. 09.1989 hatten den Aufruf „Die Zeit ist reif – Aufbruch 89“ bereits über 3.000 Menschen unterschrieben und somit ihre Ablehnung der Verhältnisse in der DDR klar zum Ausdruck gebracht.

Die Angst wurde überwunden

Am 25. September erfolgte das offizielle Verbot des Neuen Forum. Doch das SED-Machtsicherungsinstrument „Angst“ hatte seine Wirkung bereits verloren. Die Menschen scherten sich nicht mehr um Verbote, Drohungen und Einschüchterungen durch SED und Stasi. Der Aufruf des Neuen Forum wurde weiterhin vervielfältigt, was in der DDR rein technisch gar nicht so einfach zu bewerkstelligen war, und verteilt. Bis Ende 1989 hatten über 200.000 Menschen ihre Unterschrift unter den Aufruf gesetzt und über 10.000 Menschen traten dem Neuen Forum bei.

Nach der Grenzöffnung

Nach dem Fall der Mauer in Berlin und der innerdeutschen Grenze schwand jedoch der Einfluß des Neuen Forum auf den Ablauf der Ereignisse schon wieder. Die Menschen ließen sich vom Glanz der D-Mark und der Konsumtempel im Westen blenden. Sie vergaßen die eigentlichen Ziele der Wende in der DDR. Die westlichen Parteien und Medien unterstützten diesen Vergessen nach Kräften, denn niemand war an einer eigenständigen, wirklich freien DDR interessiert. Der von vielen gedachte und gewünschte „dritte Weg“ wurde als unmögliche Utopie dargestellt.

Bei den ersten freien Volkskammerwahlen im März 1990 erhielt das Bündnis 90, das sich aus dem Neuen Forum, Demokratie Jetzt und der Initiative Frieden und Menschenrechte gebildet hatte, nur mickrige 2,9 Prozent der Stimmen und stellte 12 Abgeordnete in der Volkskammer. Da war dann auch ein gewisser Joachim Gauck dabei. Gemeinsam mit der Grünen Partei der DDR wurde die Fraktion Bündnis 90/Grüne gebildet. 1993 vereinigte sich das Bündnis 90, das zwischenzeitlich eine eigenständige Partei geworden war, mit den Grünen West zur neuen Partei Bündnis 90/Die Grünen.

Das Beispiel des Neuen Forum zeigt leider sehr anschaulich, daß das Wort Büchners „Die Revolution frißt ihre eigenen Kinder“ sehr viel Wahres enthält. Gegen D-Mark und das Versprechen von den „blühenden Landschaften“ zum Nulltarif hatten die Bürgerrechtler keine Chance. Unter diesem Dilemma leidet Deutschland noch heute.

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3 Kommentare

  • Björn

    Sehr gute Aufbereitung. Sind viele Erkenntnisse enthalten, die ich so noch nicht kannte.

  • klaus zylla

    @forum
    vordergründig war im westen alles bestens, zum beispiel westfernsehen: menge guter teurer autos fuhren da rum,volle geschäfte, gegenüber ddr scheinbar alles gold—so wurden kritiker , wo vor kapitalistichen gefahren warnten, abgekanzelt: die meckerer sollen doch in die ddr ziehen ( und mal sehen,wie arm und schlecht dran wir sind)—@forum

  • klaus zylla

    @forum
    so glaubten sie vor der wende, es könnte in der brd nur besser werden(sonst nichts) deswegen schmiegten sie sich voller vertrauen an kohl und dieser hatte freie hand—es sind aber kapitalisten -knechte, die natürlich ihr kapitalistsches system fürs beste aller welten halten, so sollen auch in menge guter posten westdeutsche gesetzt worden sein, ostdeutsche entfernt—das läßt sich wohlfeil begründen, diese leute hätten im unrechtsstaat ddr schuld auf sich geladen,stehen nicht auf dem grundgesetz—es ist auch fettes brd eigenlob dabei: ddr unrechtsstaat, brd aber hort des rechts hingestellt. hybris: so wurde ddr einfach voll das brd-recht übergestülpt, als ob in brd alles besser wäre, z.B. komplizierte gesetze etc. wo menge rechtsanwälte gut von leben