20 Jahre Tafeln in Deutschland

Ein trauriges Jubiläum.

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Vor 20 Jahren wurde die erste Lebensmittel-Tafel in Deutschland gegründet, im April 1993 in Berlin. Die Sozialpädagogin Sabine Werth übernahm damit eine Idee, die aus den USA stammte. Dort verteilten ehrenamtliche Freiwillige das Essen, das in Supermärkten und an anderen Stellen übrig blieb, kostenlos an Bedürftige.

Das gab es nun auch in Deutschland. Vorallem Obdachlose sollten von dieser Nothilfe profitieren. Doch aus der vorübergehenden Hilfe ist mittlerweile eine feste Speisung der Armen geworden. In vielen Städten gibt es heute solche Tafeln, ganze Bevölkerungsteile, die meist von Hartz4 leben, haben sich mit den Tafeln eingerichtet und kämen ohne diese nur noch schwer bis gar nicht mehr über die Runden. Obst, Gemüse, Wurst, Teigwaren all das können sich diese Menschen nur noch mithilfe der kostenlosen Lebensmittelverteilung besorgen.
Und die Zahl der Bedürftigen steigt stetig an. Waren 2005 noch rund 500.000 Menschen bundesweit auf die Tafeln angewiesen, vorallem betroffen Hartz4-Empfänger, Migranten, Rentner, Alleinerziehende und Kinder, sind es heute schon 1,5 Millionen, die sich jede Woche zu einer der rund 900 Tafeln und ihren 3.000 Ausgabestellen begeben, um über die Runden zu kommen.

Sozialpolitisch ist der Erfolg der Tafeln ein Armutszeugnis. Im reichsten Land Europas sind viele Menschen auf Lebensmittelspenden angewiesen. Was die ureigenste Aufgabe des Sozialstaates wäre, wird heute von Spendern und Freiwilligen geleistet. Der Staat ruht sich auf deren Kosten aus. Mehr noch wird das drohende soziale Abrutschen in die Abhängigkeit von den Spenden der Tafeln als unterschwelliges Druckmittel benutzt. Wer es irgendwie vermeiden kann, wird alles daran setzen, nicht in Hartz4 zu landen. Und sei es der Ausbeuterjob, von dem man eigentlich nicht leben kann. Dann sucht man sich halt noch einen Zweitjob oder schafft schwarz.
Wer wirklich auf die Tafeln und deren Almosen angewiesen ist, weiß, daß der soziale Abstieg perfekt ist. Herauskommen, kann da kaum jemand wieder.

Der Staat und die Gesellschaft profitieren von den Tafeln dagegen auf zweierlei Art. Zum einen kann er sich aus der sozialen Verantwortung stehlen und zum anderen beruhigt es so schön das Gewissen. Die Aufgabe des Staates, für seine Bürger zumindest die Versorgung mit ausreichend Lebensmitteln und damit deren Lebensgrundlage zu garantieren, wird kostengünstig auf die edlen Spender inform von Supermärkten oder der Lebensmittelindustrie verlagert. Und gleichzeitig braucht sich niemand mehr über die Massen an Lebensmitteln aufregen, die tagtäglich keinen Käufer finden. Statt im Müll zu landen, kommen sie auf die Ausgabetische der Tafeln und werden verteilt. Praktisch eine echte Win-Win-Situation, wenn da nur nicht die Menschen wären, die auf diese Lebensmittel angewiesen sind.

Ziel muß es daher sein, die Tafeln wieder auf das Maß zu stutzen, für das sie einmal gedacht waren. Als zeitlich begrenzte Nothilfe, nicht als Dauerversorgungsstätte für Arme. Nochmal 20 Jahre flächendeckende Tafeln kann sich niemand ernsthaft wünschen.

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